Die Bewohner*innen in Straßburg packte vor 500 Jahren eine merkwürdige Tanzwut. Eine unscheinbare Frau – Madame Troffea – soll die Bewegungen in Gang gebracht und so etliche weitere in den Tod gelockt haben.
Madame Troffea tanzte 1518 in Straßburg
Die Ereignisse sollen an einem schönen Junitag in Straßburg ihren Anfang genommen haben. Die rätselhafte Madame Troffea soll allen gesellschaftlichen Konventionen entgegen einfach auf den Straßen der französischen Stadt das Tanzen begonnen haben. Ihre Bewegungen müssen dabei so energetisch und anziehend gewirkt haben, denn viele schlossen sich an.
Während dies auf den ersten Blick wie ein nettes Tänzchen wirkte, stellte man schnell fest, dass die Mitwirkenden einfach nicht mehr aufhören konnten. Die wirren Bewegungen dauerten schon eine Woche an. Madame Troffea hat bereits 34 Tänzerinnen und Tänzer um sich versammelt. Doch nach so vielen Tagen, die man am Stück tanzte, hat das nichts mehr mit Freude zu tun. Wehklagen, blutende Füße, Exkremente und mehr müssen die Tanzfläche bereits geziert haben. Erschöpfung und Übermüdung machten sich breit, erste kollabierten und starben.
Tanzwut dauerte an: Man baute eine Bühne
Aufseher in Straßburg waren schon längst auf die Lage aufmerksam geworden. Trotz der schrecklichen Folgen schlossen sich weiterhin Tänzer*innen dem Mob an. So hatte man einen Plan. Man wollte eine Bühne bauen und Musik spielen. Wenn man dann das Fest beenden würde, könnten alle endlich aufhören mit dem Tanzen. Doch dieser Plan sollte nicht aufgehen. Die Leichen sammelten sich an.
Nun wusste man, dass keine irdischen Mächte den Tanzenden helfen würden. Man musste zu Gott. Also pilgerte man in Straßburg zusammen mit dem kreisenden Mob zum Schrein des Heiligen Vitus. Hier hielt man eine Predigt ab und gab den Tanzenden je ein Paar roter Schuhe. „An den Schuhen war unten und oben ein creutz [. . .] gemacht und mit weywasser besprengt in St. Veits namen, da halff ihn vast allen“, zitiert die Süddeutsche Zeitung die Straßburger Chronik von Daniel Specklin.
Heißes Blut oder Massenepilepsie
Die Tänze hörten letztendlich auf. Die Toten wurden begraben. Jetzt suchte man nach einer Ursache. In einigen Quellen dieser Zeit sprach man von „heißem Blut“, welches für das unkontrollierte Tanzen ursächlich sein sollte. Diese Idee geht auf die damals vorherrschende Humoralpathologie zurück. Man ging davon aus, dass alle Krankheiten durch ein Ungleichgewicht der vier Körpersäfte (Blut, Schleim, gelbe Galle, schwarze Galle) hervorgerufen wurden. Hier diente ein Überhitzen des Bluts, also eine Art Fieber, als Erklärungsansatz. Heute ist diese Medizin überholt und demnach keine Erklärung für das, was 1518 in Straßburg geschehen ist.
Auch heute noch versucht man eine natürliche Ursache für die Vorkommnisse in Straßburg zu finden. So könnten Nervenkrankheiten wie Chorea Huntington und Enzephalitis verantwortlich sein. Aber auch eine Epilepsie wird nicht ausgeschlossen. Jene Krankheit, die sich durch unkontrollierte Zuckungen bemerkbar macht, wurde früher auch Fallsucht genannt und macht auf ein anderes Ereignis aufmerksam.
Kein Einzelfall – tötende Tänze in der Geschichte
So zeigt ein Kupferstich die „Die Wallfahrt der Fallsüchtigen nach Meulebeeck“. Hier sollen sich etliche, vor allem Frauen, zusammengefunden haben und ebenfalls bis in die tiefste Erschöpfung getanzt haben. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass sich ganz zufällig so viele Menschen in Meulebeeck und Straßburg mit derselben Nervenkrankheit zusammengefunden haben? In Limburg sowie in der Eifel soll es ähnliche Fälle gegeben haben.
Ein weiterer Ansatz zur Erklärung liegt in der Nahrung der damaligen Bevölkerung. So könnte das Getreide um Straßburg von einem Pilz befallen worden sein. Arten wie Bilsenkraut oder Mutterkorn sind in der Lage Halluzinationen und Krämpfe hervorzurufen. Doch in den Quellen findet man keine Verweise auf die passenden Symptome oder einen parallelen Getreidebefall. Man schreibt ausdrücklich vom Tanzen ohne Pause.
Fluch und Selbsterhaltungstrieb
Für keinen der historischen Tanzanfälle ließ sich damals oder heute eine wissenschaftlich schlüssige Erklärung ausmachen. Entsprechend flüchtet man sich in den Bereich der Religion. Während rückhaltlos tanzende Frauen bei dem einen womöglich die Vermutung nach Hexen hervorrufen, gehen andere von einer Art Fluch aus.
In Straßburg nahm der Tanzanfall erst sein Ende, als man dem Heiligen Vitus oder Veit huldigte. Dieser könnte jedoch auch Verursacher der Manie gewesen sein, zumindest sagte man ihm das damals nach.
Forschende gehen davon aus, dass dieser Glaube auf die Bevölkerung wie eine selbsterfüllende Prophezeihung wirkte. Das heißt, die Überzeugung verflucht zu sein, soll den Tanz bis in den Tod hervorgerufen haben. Aber erklärt dies wirklich, wie man weit über die eigene Erschöpfung hinaus die Bewegungen weiter durchführte? Würde unser Körper uns nicht vor dem absoluten Kollaps schützen? Oder setzte ein tatsächlicher Fluch diesen Selbsterhaltungsdrang außer Kraft?
Quelle: Süddeutsche Zeitung
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