Mit seiner mystischen Symbolik wirft ein über 1.000 Jahre altes Schmuckstück Fragen auf. Denn die Herstellungsart will nicht so ganz zu dem Dargestellten passen. Doch womöglich ist der archäologische Fund gerade deshalb so bedeutend, erklärt ein Fachmann. Er könnte andeuten, dass das Leben unserer Vorfahren im Mittelalter weit kosmopolitischer war als man bislang glaubte.
Kampf zwischen mystischen Kreaturen: Archäologischer Fund fasziniert Forscher
In Südtschechien nahe der Grenze zu Österreich und der Slowakei gelang Forschenden um den Archäologen Jiří Macháček eine aufsehenerregende Entdeckung, die Teil einer aktuellen Studie in der Fachpublikation Journal of Archeological Science ist. Bei Grabungen vor Ort stieß man auf eine rund 1.400 Jahre alte Riemenzunge aus Bronze. Von der Größe her ist sie mit einer modernen Gürtelschnalle vergleichbar.
Dabei ist es weniger die modische Qualität, die Macháček und sein Team fasziniert. Stattdessen steht die Symbolik des detailreich verzierten Artefakt im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Der archäologische Fund zeigt eine dramatische Szene, in der eine Schlange ein froschähnliches Wesen verschlingt. „Im Karpatenbecken gibt es Tausende Gräber mit solchen Garnituren – aber dieses Motiv war ganz neu für uns“, zitiert die Süddeutsche Zeitung Studienleiter Macháček.
Herausragend ist, dass es sich trotz der aufwendigen Gestaltung bei dem archäologischen Fund keineswegs um ein Einzelstück gehandelt hat. Grabungen in den letzten zehn Jahren brachten Riemenzungen mit identischen Motiven zutage. Diese fand man weit verteilt in Europa, vom tschechischen Böhmen über Ungarn bis in die bayrische Oberpfalz.
„Von Angesicht zu Angesicht“ mit einem Tyrannen: Dieser archäologische Fund zeugt von einer antiken Schreckensherrschaft.
Das waren die Awaren
Macháček und seinen Kolleginen und Kollegen war es ein Leichtes, den archäologischen Fun den Awaren zuzuordnen, jenem kriegerischen Reitervolk, das im Frühmittelalter über ein Gebiet vom ungarischen Karpatenbecken bis zur Grenze Bayerns herrschte. Doch ihre Herrschaft war nur von kurzer Dauer. Nach rund 200 Jahren schlug Karl der Große die Awaren in brutalen Eroberungskriegen.
Wie die Süddeutsche unter Berufung auf eine Studie aus dem Jahr 2022 schreibt, belegen genetische Untersuchungen, dass die frühen Awaren aus der mongolischen Steppe nach Europa gekommen sind. Das würde die Interpretation nahelegen, dass auch die Schlangensymbole auf den Riemenzungen asiatischen Ursprungs sind.
Aus Aufzeichnungen ist bekannt, dass sich die Awaren teils mythologisch als Schlangen oder Würmer identifizierten. Das Verschlingen des Froschs könnte demnach die militärische Eroberung slawischer Gebiete symbolisieren. Gegen diese Interpretation spricht jedoch der Fundort des Artefakts. Das damalige Lány im Süden Tschechiens habe aufgrund seiner Bebauung eindeutig unter slawischer Regentschaft gestanden. Auch die archäologischen Funde in Böhmen und der Oberpfalz fallen nicht in klassisches Awaren-Territorium.
Mysteriöse Symbolik: Das könnte sie bedeuten
Es sei zudem sehr wahrscheinlich, dass zumindest die eine Riemenzunge direkt in Lány hergestellt worden sei. Das könnte beweisen, dass sich auch andere Völker der Methodiken der Awaren bedient haben, erläutert Macháček. „Die Objekte wurden auf slawischem Gebiet hergestellt, aber mit awarischer Technologie, und die Slawen wählten selbst das Motiv.“
So könnte es sich bei der Schlange womöglich um eine Darstellung des slawischen Unterweltgottes Veles handeln, der in der Mythologie oftmals als Schlange erscheint. Bei dem Frosch könnte es sich um die Muttergöttin Mokosch handeln. Die Symbolik ließe demnach entweder auf einen Fruchtbarkeitskult schließen oder auf eine mögliche Darstellung der Entstehung der Welt. In vielen vorchristlichen Mythologien wird die Erdenerschaffung als Kampf mit einer Schlange und als Ringen von weiblichen und männlichen Elementen symbolisiert.
So oder so stuft Macháček den archäologischen Fund als bedeutend ein. Er zeige nämlich, dass bereits im Frühmittelalter enger Austausch zwischen den einzelnen europäischen Völkern geherrscht haben musste. „Auf diesen Gebieten konnte es zum Transfer von verschiedenem Wissen und Vorstellungen und Technologien kommen“, so der Wissenschaftler. Diese Erkenntnis widerspräche der weitläufigen Annahme, dass es erst mit dem Voranschreiten des Christentums zu einer großen paneuropäischen Verschmelzung kam.
Quellen: „Copper-alloy belt fittings and elite networking in Early Medieval Central Europe“ (Journal of Archeological Science, Dezember 2023); Süddeutsche Zeitung; „Ancient genomes reveal origin and rapid trans-Eurasian migration of 7th century Avar elites“ (Cell, April 2022)
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