„Wie wir mit Technik umgehen, lässt darauf schließen, dass wir enger mit ihr verbunden sind, als wir das zugeben wollen“, sagt Alexander Krützfeldt. In seinem Buch „Wir sind Cyborgs“ spürt der deutsche Autor Leuten nach, die mit der Technik verwachsen sind und Fragen nach dem Verschmelzen von Mensch und Maschine aufwerfen. Der Künstler Neal Harbisson, dem ein implantierter Chip dabei hilft, Farben wahrzunehmen, zählt ebenso dazu wie der Hacker Tim Cannon, der ein Gerät entwickelt hat, das unter die Haut implantiert Körperdaten an ein Smartphone sendet. Ebenso beschrieben ist der Bastler Stefan Greiner, der sich einen Magneten in den Finger gesetzt hat, um elektromagnetische Wellen spüren zu können.
Sie haben mit einer Reihe von Leuten gesprochen, die für sich in Anspruch nehmen, Cyborgs zu sein. Was treibt diese Leute an?
Alexander Krützfeldt: Man kann es mit den ersten Hackern vergleichen. Es ist das kritische Begleiten einer Entwicklung, von der noch nicht absehbar ist, wo sie hinführt. Sie thematisieren Probleme und stellen Fragen, bevor es Durchbrüche gibt, die verhindern, dass man solche Fragen noch stellen kann. Es wurde viel Freak-Berichterstattung gemacht, aber das war auch bei den Hackern nicht anders. Heute werden diese Leute hofiert. Das wird auch mit den Cyborgs passieren, die eine Debatte über die Technik anstoßen. Die Gesellschaft ist noch nicht bereit und hat noch nicht begriffen, worum es geht.
Den Satz, das Smartphone hat uns alle zu Cyberborgs gemacht, kann man oft hören. Sind wir alle Cyborgs? Wo verlaufen die Grenzen?
Viele Leute sagen, wenn die Technik nicht im Körper implementiert ist und man sie also weglegen kann, ist man noch kein Cyborg. Ich sehe das anders. Wie wir mit Technik umgehen, lässt darauf schließen, dass wir enger mit der Technik verbunden sind, als wir das zugeben wollen. Wir benutzen Technik so als wäre sie ein Teil von uns, nicht körperlich, sondern psychologisch.
Das Bild, das wir von Cyborgs haben, ist von der Populärkultur geprägt. Meist schwingt eine dystopische Tendenz mit.
Das liegt sicherlich daran, dass Science-Fiction-Filme eine Drohkulisse aufbauen wollen, damit man sie ansieht. Es ist eine große ethische Erzählung, es geht um Gut und Böse, es gibt klare Feindbilder und Befürchtungen. Es ist immer gleich Katastrophe und Weltuntergang auf der einen oder Heilsversprechen auf der anderen Seite, weil es den Menschen liegt, Geschichten auf diese Art zu erzählen.
Wlan-Strahlung auf Spielplätzen – (noch) kein Thema
Einer der Cyborgs, den sie besucht haben, hat sich Magnete implantieren lassen um elektromagnetische Wellen spüren zu können. Verlangt die hochtechnisierte Umwelt andere oder erweiterte Sinnesorgane?
Ja und nein. Ja, weil wir durch Magnete die Welt anders erleben. Wir nehmen Dinge wahr, die unsichtbar sind. Wenn wir auf Kinderspielplätzen WLAN-Strahlung spüren könnten, dann müssten wir uns auch damit beschäftigen. Wenn wir etwas spüren, steigt auch die Akzeptanz, es zu problematisieren. Auf der anderen Seite sind die Geräte noch nicht so weit. Noch sind das Gadgets oder Schmuck, über den sich Zugehörigkeiten ausdrücken.
Es gibt auch Cyborgs, die ihre Defizite mithilfe der Technik ausgleichen. Etwa Neil Harbisson, der farbenblind ist, und mit Hilfe einer Kamera und eines Chips jetzt Farben hören kann.
Neil Harbisson hat einen künstlerischen Anspruch. Er will ein Potenzial aufzeigen. Er kann auch UV-Strahlen wahrnehmen. Wenn wir alle so Klimaphänomene spüren könnten, wäre das vor dem Hintergrund der Klimadebatte sehr eindrucksvoll.
Technik kann Menschen auch „Superkräfte“ verleihen. Etwa Hörgeräte, mit denen sich Gespräche am Nebentisch mithören lassen.
Man kriegt solche Geräte in jedem Überwachungsshop. Es macht aber einen Unterschied, ob man so ein Gerät im Ohr hat oder nur bei sich führt. Wenn ich mit einem Hörgerät Gespräche am Nebentisch belauschen kann, ist das keine Spielerei mehr. Es taugt dazu, die komplette Kommunikationsebene zu verändern. Wenn wir uns nicht mehr sicher sein können, dass wir nicht abgehört werden, unterhalten wir uns anders. Das hat das Potenzial, das Zusammenleben der Menschen zu verändern.
„Ich behalte die Macht über das Gerät“
Technik und Daten helfen uns auch, unseren Körper besser zu verstehen. Sind Wearables und Fitnessarmbänder, an die wir uns immer mehr gewöhnen, Vorboten von Implantaten?
Wenn ich ein Fitnessarmband umlege, behalte ich die Macht über das Gerät. Wenn es eingepflanzt ist, ist das nicht mehr der Fall. Dann ist die Freiheit ein Stück weit eingeschränkt und wir können uns nicht mehr aussuchen, ob wir es tragen oder nicht. Implantate werden Geräten vorbehalten bleiben, die wirklich wichtig sind und unser Leben retten oder stark vereinfachen können, etwa Herzschrittmacher.
In der Wissenschaft werden Cyborgs sehr skeptisch gesehen, sie gelten als Freaks. Auch rechtlich gesehen werden Implantate, wenn sie nicht von Ärzten eingesetzt werden, als Körperverletzung klassifiziert. Gibt es Anzeichen für eine Öffnung?
Eine Öffnung findet statt. Viele Wissenschaftler zeigen Interesse an Cyborgs. Die Wissenschaftler sind aber auch neidisch. Sie arbeiten seit 30 Jahren an den Entwicklungen und sind eigentlich weiter als die Hacker, aber sie werden nicht so wahrgenommen wie das popkulturelle Cyborg-Phänomen.
Hat die gesellschaftliche Akzeptanz von Cyborg-Technik zugenommen?
Im Business-Bereich finden wir bereits heute Anwendungen, bei denen der Nutzenfaktor so hoch ist, dass sie schon fast verpflichtend sind. In einer Werft ohne Exoskelette zu arbeiten, ist anstrengend. Exoskelette bringen für die Firma Vorteile und entlasten auch die Arbeiter.
Für den privaten Bereich gilt das nicht?
Es könnte über die Gesundheit funktionieren. Wenn ein 90-Jähriger mit einem Exoskelett Einkäufe in den fünften Stock tragen kann, dann wird es auch im privaten Bereich solchen Nutzen geben.
Wie sieht es mit leistungssteigernden Bio-Drogen oder Sensoren und Nanorobotern auf biologischer Basis aus, die in manchen Bereichen bereits im Einsatz sind?
Das ist tatsächlich die Zukunft. In 20 Jahren werden wir uns nicht mechanische Organe aus Metall einsetzen, sondern Organe, die in Petrischalen gezüchtet wurden. Wir werden uns ein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen können. Bei dieser Art von biologischer Erweiterung fällt auch die Hemmschwelle weg, die es gibt, wenn ein Stück Metall in den Körper eingesetzt werden soll. Das wird nur dann akzeptiert, wenn es nicht anders geht.
Viele Leute werden sich Erweiterungen ihrer selbst oder leistungssteigernde Technik nicht leisten können oder wollen. Tut sich da eine Kluft auf?
Wir leben in einer Gesellschaft, die nur noch Leistung honoriert. Wir brauchen eine Debatte darüber, ob das das Modell ist, das wir an unsere Kinder weitergeben wollen. Die Kluft entsteht sicherlich. Nicht nur zwischen arm und reich und zwischen Ländern, die an die Technik gelangen können, und solchen, die das nicht können. Es entsteht auch eine Kluft zwischen Leuten, die bereit sind, darauf einzusteigen, und solchen, die das nicht möchten. Die werden bestimmte Jobs nicht mehr machen können. Es ist die Frage, ob solche Möglichkeiten, die eigentlich etwas Gutes sind, auf dem Nährboden der Leistungsgesellschaft zu etwas Gefährlichem werden.
Eine Fluchtlinie der technischen Optimierung ist der Transhumanismus, bei dem der Mensch als biologisches Wesen überwunden wird. Ist der Mensch ein Auslaufmodell?
Nein, der Mensch ist kein Auslaufmodell. Es wird Grenzen geben, bei denen wir als Gesellschaft sagen, die überwinden wir nicht. Wir werden zwar immer bessere Maschinen bauen, die uns als Arbeitswesen begleiten und irgendwann gleichberechtigt neben uns stehen werden. Die Trennlinie zwischen Mensch und Maschine wird aber aufrechterhalten bleiben.
Dieses Interview erschien zuerst auf futurezone.at