Plötzlich sind die Erinnerungen zurück. Die Häuser, die Geschäfte, die Autos – alles ist wie damals in den 50er und 60er Jahren. An einem Krefelder Klinikum können Demenzpatienten erstmals virtuell in ihre eigene Vergangenheit reisen. Software-Entwickler haben hierfür eigens eine 360-Grad-Version einer historischen Straßenszene rekonstruiert. Die Patienten können sich darin mithilfe einer Virtual-Reality-Brille umsehen und sich sogar in der vertrauten Umgebung bewegen.
Die Idee zu dem Projekt kam den Entwicklern, als der Vater einer der Firmengründerinnen an Demenz erkrankte: „Dadurch hatten wir eine persönliche Motivation“, erzählt Lukas Kuhlendahl, von der Software-Agentur Weltenweber. „Durch die Beschäftigung mit aktuellen Therapiemethoden wie der Erinnerungstherapie und der Tatsache, dass der Vater sich immer noch bestens in Krefeld auskennt, sind wir auf die Idee gekommen.“
Lebensfreude und positive Gedanken verlangsamen den Krankheitsverlauf
Tatsächlich sei diese Methode im Rahmen sogenannter Biografie-Arbeit durchaus sinnvoll, bestätigt auch Susanna Saxl von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. „Dabei wird versucht, positive Erinnerungen und Lebensfreude zu wecken. Das kann den Krankheitsverlauf verlangsamen», so Saxl. Der Einsatz dieser Technik sei allerdings eher im frühen Stadium der Krankheit sinnvoll.
Zwar gebe es auch die Gefahr, dass die Patienten durch den schnellen Wechsel zwischen Realität und Fiktion verwirrt würden. Man habe jedoch mit Computerspielen – beispielsweise mit virtuellem Kegeln an der Spielkonsole – bereits gute Erfahrungen gemacht, so Saxl.
„Ich finde es besonders toll, dass auch Menschen, die wahrscheinlich noch nie ein Videospiel gespielt haben, von einer für uns Gamer schon fast alltäglichen Technologie wie Virtual Reality profitieren können“, sagt Svenja Bhatty, Vorstandsvorsitzende des Vereins Gaming Aid e.V. Die gemeinnützige Vereinigung von Spielern und Produktherstellern hat das Projekt mit dem Titel „Krefeld im Wirtschaftswunder“ gemeinsam mit den Ärzten des Krankenhauses und einem Entwickler-Team ins Leben gerufen.
Technik bringt Betroffene zusammen
Die Technik wird von den Patienten bislang gut angenommen, freut sich Chefarzt Friedhelm Caspers vom Krefelder Klinikum. „Das ist ganz toll für die alten Menschen“, sagt er. „Man schafft tatsächlich eine Brücke in die Gegenwart. Und man kommt anschließend darüber ins Gespräch.“
Die Kommunikation ist auch ein wichtiger Teil der Therapie. Denn mit dem bloßen Anschauen der virtuellen Umgebung sei es nicht getan, erklärt Saxl. „Erinnerung nur für sich alleine hilft wenig.“ Das Wichtigste sei der anschließende Austausch mit anderen Menschen.
Nach Angaben der Alzheimer-Gesellschaft ist die Zahl der Demenz-Kranken in Deutschland in den vergangen Jahren kontinuierlich gestiegen. So seien 2004 geschätzt etwa eine Millionen Menschen von der Krankheit betroffen gewesen, aktuell seien es etwa 1,6 Millionen. Für das Jahr 2050 prognostizieren die Experten gar eine Verdopplung auf rund drei Millionen Patienten.
Noch kein Heilmittel entdeckt
Trotz dieser drastischen Entwicklung ist eine Heilung der Demenzerkrankung noch nicht in Sicht. „Bei den Medikamenten sind wir im Grunde seit zehn Jahren nicht weiter gekommen“, beklagt Saxl. Eine Zeit lang schaffen es die alten Erinnerung zwar, das Vergessen zu verdrängen und alte Erinnerungen wieder zu wecken. Aufhalten können sie die Demenz allerdings noch nicht.