Wir haben Jasper Ettema auf der diesjährigen Bits & Pretzels getroffen und ihn zum momentanen Stand der Entwicklung des PocketDefi befragt. Nachdem der Prototyp, wie noch Anfang des Jahres angekündigt, fertiggestellt ist, kann der nächste Schritt eingeleitet werden: Ab dem 3. Oktober ist der PocketDefi ab 399 Euro über die Crowdfunding-Plattform Indiegogo vorbestellbar (zur Kampagne). Der reguläre Preis wird später bei 699 Euro liegen. Ziel der Aktion ist die Finanzierung der notwendigen medizinischen Zulassung des PocketDefi durch eine europäische benannte Stelle.
Während des Gespräches hatte Ettema zunächst nur einen Dummy ohne die wesentliche Elektronik dabei, weil das handliche Medizinprodukt der Risikoklasse IIb ohne CE-Kennzeichnung so noch nicht präsentiert werden darf: „Das ist für uns besonders schwierig, weil der Trend klar Richtung Erstellung mehrerer Prototypen geht, um daraus zu lernen.“
Laut Ettema liegt das Ziel darin, Defibrillation bei Herzversagen umfänglich verfügbar zu machen. Das bedeutet, dass nicht nur Organisationen ein Gerät kaufen können, sondern vor allem Ärzte, Ersthelfer und Risikopatienten. Im Ernstfall stünden nämlich nur drei Minuten zur Verfügung, um bei Herzversagen Folgeschäden durch Sauerstoffunterversorgung vorzubeugen. Muss der Defibrillator erst gesucht und gefunden werden, ist diese kurze Zeitspanne kaum einzuhalten und eine dauerhafte Beeinträchtigung sehr wahrscheinlich.
Kein Wartungsaufwand
Ein wesentlicher Vorteil von PocketDefi bestehe, so Ettema, auch darin, dass die Elektroden im Vergleich zu herkömmlichen Defibrillatoren einfach und schnell ausgetauscht werden können. Während die großen Geräte im Normalfall nach einem Einsatz erst zur Wartung geschickt werden müssen, lässt sich die Hülle des PocketDefi, in dem die Elektroden inklusive Hydrogel und Kabel verborgen sind, einfach abziehen und durch eine neue ersetzen. Wird das Gerät nicht verwendet, müssen diese standardmäßig alle zwei Jahren gewechselt werden. Nach dem Tausch wird der PocketDefi einfach induktiv auf der mitgelieferten Station aufgeladen und steht zum Einsatz bereit.
Das Thema Wartung kann damit komplett vom Endkonsumenten ferngehalten werden, so Ettema. Man könne diesem schließlich nicht zumuten, dass er sich jede Woche mit seinem Defibrillator beschäftigt. Aus der Ferne erfolgen zusätzliche Selbsttests, die über das Smartphone des Nutzers an den Server des Start-ups geschickt und dort interpretiert werden. Sollte etwas vorliegen, das einen menschlichen Eingriff erfordert, wird der Nutzer per Telefon darauf hingewiesen. Getestet werden auf diese Weise zum Beispiel, die Akkuladung, die Sprachausgabe und die fehlerfreie Funktion für den Notfall. Eine Fehlertoleranz gäbe es da einfach nicht.
Daten werden nicht gesammelt
Dennoch würden keine Patientendaten gesammelt, da man bei liimtec von vornherein gar nicht nachvollziehen könne, welcher Patient an das Gerät angeschlossen würde. Es gehe vielmehr um Daten zur Anwendung, also welche Herzfrequenz gemessen wurde, welcher Schock mit wie viel Energie abgegeben wurde etc. Im Notfall müssten diese Daten dann auch gespeichert werden, um sie zum Beispiel im Todesfall des Patienten den Behörden zur Verfügung zu stellen; das sei verpflichtend, so Ettema. Alle weiteren erhobenen Daten dienen der Weiterentwicklung des Gerätes, damit dessen Langlebigkeit garantiert werden kann. Dazu zähle unter anderem der Aufbewahrungsort und die dortigen Temperaturen. Da die Elektroden mit einem Hydrogel bedeckt sind, beeinflussen Werte ab 50 Grad zum Beispiel dessen Konsistenz und damit die Alterung der Elektroden. „Das gilt für jeden Defibrillator, wir können den Besitzer aber zumindest warnen, wenn seine Elektroden in Gefahr sind“, erklärt Ettema.
Entspricht gesetzlichen Vorschriften
In Sachen Sicherheit müsse sich der User Ettema zufolge auch keine Gedanken machen. Der PocketDefi entspricht gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsvorschriften und darf nur dann schocken, wenn ein schockbarer Rhythmus vorliegt. „Diese Diagnose müssen wir können“, so der liimtec-CEO. Von den insgesamt 39 Fehlrhythmen, die es gibt, sind zwei mittels Defibrillation zu therapieren. Das klingt zunächst sehr wenig, decke aber laut Ettema etwa 80 Prozent aller Fälle ab. Also genau jene, die am häufigsten vorkommen. In allen anderen Fällen löst PoketDefi nicht aus beziehungsweise empfiehlt eine Herzdruckmassage. Ein wenig Obacht ist momentan allerdings noch in der Nähe von größeren Mengen Wasser geboten. Der PocketDefi ist zur Zeit IP 44 geschützt, also unempfindlich gegenüber Spritzwasser. Einen IP 68-Schutz, das heißt Wasserdichte, ist für die Zukunft jedoch definitiv in Planung.
Der Weg zu Indiegogo und nicht zu Kickstarter liegt übrigens darin begründet, so Ettema, dass Kickstarter keine Medizinprodukte aufnimmt. Das Start-up hat allerdings mit Indiegogo einen wirklich wertvollen Partner gefunden, der seinerseits wiederum eine nützliche Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Arrow pflegt. Der zweitgrößte Elektronikbauteile-Großhändler der Welt überprüft im Auftrag von Indiegogo Elektronik-Projekte und vergibt dafür ein Zertifikat, das auch PocketDefi erhalten hat. Dadurch wissen potenzielle Kunden, dass es sich um ein gutes Produkt handelt, dessen Konzept von unabhängigen Experten geprüft wurde.
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