Als Erbatur Cavusoglu im vergangenen Jahr die Türkei verließ, wollte er kein Wissenschafter mehr sein. Er hatte das Gefühl, dass seine Arbeit als Stadtplaner nichts gebracht habe. „Ich hatte 20 Jahre unterrichtet und war enttäuscht. Die türkischen Behörden bauen eh, wie sie wollen. Ich hatte das Gefühl, mich nur noch zu beklagen und nicht weiter zu kommen.“
Berlin als Exil
Nun, ein Jahr später, kehrt Cavusoglu in die Wissenschaft zurück – voller Überzeugung. Gemeinsam mit türkischen und deutschen Kollegen ist er dabei, in Berlin eine Online-Akademie ins Leben zu rufen. Für Studenten, die von entlassenen oder geflohenen türkischen Wissenschaftlern in Video-Lektionen unterrichtet werden möchten. Der Name: „Off-University„.
„Off“ steht für den Verein „Organisation für den Frieden“. Die Idee dazu entstand in einem Plattengeschäft in Berlin-Kreuzberg. Dort arbeitet Cavusoglu (43) seit einem halben Jahr. Als erstes führte er eine Sammlung türkischer Pop- und Volksmusik ein. Dann begann er gemeinsam mit Tuba Inal Cekic (42) und Julia Strutz (33), die beide ebenfalls als Wissenschafterinnen in der Türkei arbeiteten, die Idee für die Online-Akademie zu entwicken
Geflohen vor der Justiz
Die Kollegen kennen sich seit vielen Jahren, lebten alle zuerst in Istanbul, nun in Berlin. Sie halten Verbindungen. Viele der insgesamt 30 Kollegen, die sich nun für die Idee ihrer Online-Akademie begeistern, unterschrieben im Januar 2016 eine Petition für ein Ende der Militäreinsätze in den kurdischen Gebieten der Türkei, berichtet Strutz. Mehrere hundert der 1100 Unterzeichner hätten danach ihre Arbeit verloren. Einige verließen im Anschluss die Türkei und kamen unter anderem nach Deutschland: Cavusoglu und Cekic hatten damals ohnehin ein Forschungsprojekt hier. Danach entschieden sie, nach den Verhaftungswellen in der Türkei nicht dorthin zurückzukehren.
Andere Kollegen leben jedoch weiterhin in der Türkei – und an genau sie richtet sich nun auch das Angebot. „Viele der Wissenschafter haben teilweise 30 Jahre unterrichtet, und können das jetzt nicht mehr machen. Das ist ihr Leben, sie müssen unterrichten und forschen“, sagt Cavusoglu.
Off-University geht Oktober ans Netz
Das gemeinsame Ziel ist ehrgeizig: Die „Off-University“ soll Mitte Oktober zum Start des Wintersemesters online gehen. „Am Anfang hatten wir kein Geld und keine Studenten“, sagt Cavusoglu. „Aber wir wussten, dass die Studenten in der Türkei von den entlassenen Wissenschaftlern unterrichtet werden wollen.“ Und die Wissenschafter im Exil vermissten ihre Studenten. Das Gründungsteam finanziere sich derzeit unter anderem mit Crowdfunding, die Rosa-Luxemburg-Stiftung leiste finanzielle Unterstützung.
Am diesem Samstag stellen die Wissenschafter ihr Projekt in der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin-Hellersdorf vor. Wissenschafter und Journalisten diskutieren unter dem Motto „Von der großen Sprachlosigkeit – Wissenschaft, Kunst und Journalismus gegen den Krieg“. Mit der Veranstaltung beginnt außerdem eine einwöchige Onlinekonferenz unter dem Titel „Harte Fragen für den Frieden“.
Hilfe auch für Syrer
Die Akademiker-Gruppe hat noch viel vor: Sie möchten mit Universitäten in Deutschland kooperieren, damit Studenten sich die neuen Video-Kurse anrechnen lassen oder eine Doktorarbeit schreiben können. Die Kurse sollen für Studenten kostenlos sein, Professoren sollen jedoch ein Gehalt bekommen. Und: Das Angebot soll sich nicht nur auf die Türkei beschränken. Der Verein versucht, Kontakte zur syrischen Wissenschaftlerszene zu bekommen.