Wir leben in einem goldenen Zeitalter. Die klügsten Menschen der Welt können wir innerhalb von Sekunden zu uns nach Hause holen. Wir müssen ihnen weder Tee noch Kekse anbieten, wir müssen nicht mal vorher eine Hose anziehen. Es genügt, sich gähnend im Bett zu wälzen und dabei ein Online-Video anzuklicken. Die genialsten Ideen der größten Genies unserer Zeit sind rund um die Uhr überall frei verfügbar – genau wie atemberaubende Musik, geistvolle Literatur und fein recherchierter Journalismus.
Aber warum zum Teufel ist das Internet dann voll von banalen Beauty-Tipps, politischen Hetzparolen und dummen Verschwörungstheorien? Warum bekommt dann ein Zusammenschnitt von Skateboard-Unfällen mehr Klicks als subtile Sozialsatire? Warum werden auf den Titelblättern von Hochglanzmagazinen königliche Babys abgedruckt und nicht wegweisende Wissenschaftler?
Die Aufmerksamkeits-Ökonomie
Der Grund ist, dass wir nicht verstanden haben, wie wertvoll unsere Aufmerksamkeit ist. Wenn mehr Information gratis verfügbar ist als wir je aufnehmen können, dann wird unsere Aufmerksamkeit zur wichtigen Währung. Ein heftiger Kampf tobt um die begrenzte Anzahl von Aufmerksamkeitsstunden, die wir täglich zu vergeben haben. Jeder will sie haben – Online-Magazine, politische Parteien und Fruchtgummiwerbungen.
Man drängt uns daher rund um die Uhr Informationshäppchen auf, in der Hoffnung, unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen. Uns geht es wie einem kleinen Kind, dem von allen Seiten klebrige Süßigkeiten angeboten werden: „Nimm dir so viel du willst“, rufen alle. „Schau, da habe ich eine noch zuckersüßere Sorte, mit Erdbeergeschmack!“
Und so wie das kleine Kind hingebungsvoll naschen wird, bis der Magen rebelliert, der Kreislauf zusammenbricht und die Zähne zerbröseln, stopfen wir eben die Information in uns hinein, die für uns gerade am süßesten aussieht, ohne an die Folgen zu denken.
Die sanfte Verblödung
Und diese Folgen sind schwerwiegend: Wir verblöden uns selbst. Irgendwann kann man hirnlose Massenberieselung und tatsächliche Information kaum noch auseinanderhalten. Und mit jeder Stunde, die wir an nutzlose Pseudoinformation verschwenden, verzichten wir auf eine Stunde wertvolle Geistesnahrung.
Natürlich ist es nicht schlimm, Katzenvideos anzusehen, Klatschmagazine zu lesen oder sich zombieartig vom Werbefernsehen einlullen zu lassen. Es ist auch nicht schlimm, klebrige Erdbeerbonbons zu lutschen. Aber wenn man den Magen ausschließlich mit Erdbeerbonbons füllt, wird man krank, und wenn man sein Hirn ausschließlich mit Pseudoinformation füllt, wird man dumm.
Das ist doch egal, könnte man nun sagen. Dann gehen halt manche Leute schlecht mit ihrem Aufmerksamkeits-Budget um, kümmern sich um unsinnige Dinge und verblöden dabei. Selber Schuld, kein Mitleid!
Aber so einfach ist es nicht – denn die Ökonomie der Aufmerksamkeit formt unsere Gesellschaft. Ähnlich wie wir als Lebensmittelkonsumenten durch unser Kaufverhalten kollektiv entscheiden, welche Nahrungsmittel produziert werden, legen wir durch das Vergeben unserer Aufmerksamkeit gemeinsam fest, welche Themen, Gedanken und Personen als wichtig gelten. Und dabei greifen wir heute auf abenteuerliche Weise daneben.
Ein rüpelhafter Teenager, der in seinem Videoblog die große Chemtrail-Verschwörung aufzudecken versucht, bekommt in einer Woche mehr Aufmerksamkeit als mancher Wissenschaftler in seinem ganzen Leben. Millionäre, die mit Formel-1-Autos sinnlos im Kreis fahren, sind stärker in den Medien vertreten als ein Bürgerkrieg in touristisch irrelevanten Weltgegenden. Jeder kennt Kanye West, Mario Barth und Paris Hilton, niemand weiß genau warum. Aber wie viele Klimaforscher fallen uns ein? Wie viele Orchestermusiker? Wie viele Schriftsteller, die in den letzten Jahren einen schönen Roman herausgebracht haben?
Stop making stupid people famous!
Wir müssen damit aufhören, dumme Menschen berühmt zu machen. Wer im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht, wird als Vorbild wahrgenommen. Die Menschen auf den Titelseiten, auf Fernsehbildschirmen oder in viralen Internetvideos legen fest, in welche Richtung sich die Gesellschaft bewegt, ob wir wollen oder nicht. Wir sollten daher darüber nachdenken, wer es tatsächlich verdient hat, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.
Unsere Aufmerksamkeit ist kostbar. Wir sollten sie nicht jenen schenken, die uns kurzfristig unterhalten, sondern jenen, die uns als Gesellschaft besser, klüger und zukunftstauglicher machen. Niemals würden wir jeden hereinlassen, der in unsere Wohnung will. Ebenso wenig sollten wir jeden hereinlassen, der in unser Gehirn will.
Zur Person
Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei futurezone.at.