Die re:publica 18 startet in diesem Jahr mit einem neuen hohen weiblichen Anteil im Management. Während CEO Andreas Gebhard und seine Mitgründer bleiben, kümmern sich seit Kurzem mit Rebecca Krum und Solveig Rietschel zwei Frauen um Kommunikation und Internationalisierung von Europas größter Digital- und Gesellschaftskonferenz.
Und auch die neue Direktorin ist eine Frau: Bevor Jeannine Koch zur re:publica kam, war sie Marketing-Chefin bei der Internationalen Gartenausstellung (IGA) in Berlin-Marzahn. Zwei große Events, zwei völlig verschiedene Publika. Warum aber schon ihre Wurzeln bei der re:publica liegen, wieso sie auf den „fahrenden ICE“ aufgespringen musste, und ob sich die Konferenz für ein breiteres Publikum öffnen könnte, verrät sie im Gespräch mit futurezone.
futurezone: Du warst 2010 Volunteer bei der re:publica und bist jetzt, nur acht Jahre später, Direktorin. Eine ganz schöne Blitzkarriere. Wie konnte das passieren?
Jeannine Koch: Ich weiß ja gar nicht, in welchem Zeitrahmen sich so ein Blitz fortbewegt. Aber wenn acht Jahre die Zeitspanne eines Blitzes sind, ja, dann stimme ich zu. Der Prozess war aber gefühlt ein bisschen langwieriger.
Ich habe 2010 meine Abschlussarbeit an der Uni zum Thema Privacy und Datenschutz geschrieben und war im selben Jahr als Volunteer bei der re:publica. dabei. Nach einigen Jahren bei der Telekom und einem Berliner Schuh-Label habe ich bis Ende letzten Jahres bei der IGA Berlin 2017 sechs Jahre lang die Marketing- und Kommunikationsleitung verantwortet, in dessen Rahmen Andreas Gebhard [CEO re:publica, Anm. d. Red] mich vor nun mehr drei Jahren ansprach, ob wir nicht eine Kooperation mit der re:publica anstreben wollen. Gemeinsam haben wir die Symposiumreihe „Digitalisierung Im Grünen“ entwickelt, die letztes Jahr monatlich auf der IGA stattfand.
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Ende letzten Jahres, nach Abschluss der IGA, sprach mich Andreas dann an, ob ich mir vorstellen könne, Direktorin bei der re:publica zu sein. Es gab also schon noch einige entscheidende Zwischenstationen auf dem Weg dorthin.
Auf die IGA habt ihr als Team jahrelang hingearbeitet. Und bei der re:publica, die auch ein großes Event ist, muss alles super schnell auf die Beine gestellt werden, oder?
Absolut. Natürlich beginnen Themen- und Mottofindung, Gestaltungsfragen und Partnerakquise schon früh. Nach der re:publica ist vor der re:publica. Ich bin nun seit Januar dabei und mitten im Prozess auf den fahrenden Zug aufgesprungen.
Die re:publica findet dieses Jahr zum 12. Mal statt, es ist inzwischen ein Riesenprojekt, mit für mich viel weniger Vorlauf. Jetzt musste ich schnell in alles hineinwachsen, wobei mich das Team grandios unterstützt hat. Und für 2019 kann ich dann gleich von Anfang an mitplanen.
Inwiefern kannst du dieses Jahr bei der re:publica 18 auch deinen eigenen Input einbringen, wenn du jetzt gerade erst, wie du sagst, auf den fahrenden Zug aufgesprungen bist? Geht da noch etwas?
Total viel, ja. Ich bin natürlich in der glücklichen Situation, dass ich an einer Stelle sitze, an der ich sowieso viel Mitspracherecht habe. Für mich ist es wichtig mitzumischen. Etwas anderes könnte ich irgendwie gar nicht.
Hier sitzen sehr viele kreative Menschen mit tollen Ideen und jeder darf sich hier miteinbringen, daraus wird so eine Konferenz wie die re:publica ja auch zum eigenen Herzensprojekt.
Was steckt hinter dem neuen Motto, POP?
Es bedeutet Power of People. Wir wollen den Begriff „POP“ aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Da steckt Popkultur genauso drin wie Populismus. Das Thema Digitalisierung ist im Mainstream angekommen und ist von daher gesellschaftsfähig geworden. Gleichzeitig steht das Motto aber auch für den englischen Begriff „to pop“, also „zerplatzen“. Und wir wollen mit unseren TeilnehmerInnen auf aktuelle Lebensrealitäten gucken und Filterblasen, die unter anderem auch durch neue Technologien entstehen, zum Platzen bringen – um den Menschen ihre Power zurückzugeben.
Sie sollen in der Lage sein selbst zu entscheiden: Welche Informationen hole ich mir? Woher kommen diese? Aus welcher Quelle? Sind sie verifiziert? Kann ich ihnen vertrauen? Einfach auch, um zu verstehen, dass soziale Medien auch Medienunternehmen sind.
2010 hast du deine Diplomarbeit zum Thema Umgang mit privaten Daten am Beispiel Facebook geschrieben. Wie siehst du die aktuelle Debatte: Müssen die Nutzer von sozialen Netzwerken mehr Macht über ihre Daten zurückbekommen?
Absolut. Ich finde die Souveränität über seine eigenen Daten zu behalten, ist das A und O – und eine schöne Utopie. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem das Ganze nicht mehr für jeden überschaubar ist.
Zu dem Zeitpunkt, als ich meine Abschlussarbeit geschrieben habe, war gerade die Hochzeit der Privacy-Umstellungen bei Facebook. Da wusste ich, es gibt dieses Rädchen, da kann ich einstellen, wer meine Fotos sehen darf und so weiter und so fort. Und inzwischen benötigt man schon erweiterte Kenntnisse, um sich durch den Dschungel der Dateneinstellungen zu kämpfen. Man fragt sich bisweilen, wer eigentlich zum Beispiel alles meine Bilder sehen kann, auf denen ich vertagged worden bin, weil zum Teil nicht mehr deutlich wird, welche der Privacy-Einstellungen eigentlich die Souveränen sind, meine oder die des „Vertaggers“.
Hast du mal darüber nachgedacht dein Facebook-Konto zu löschen?
Total oft. Fakt ist, ich hatte und habe so viel beruflich mit Social Media zu tun, dass sich die Frage gar nicht stellte. Nichtsdestotrotz muss ich ja wissen, was passiert und eine Meinung dazu entwickeln. Aber ich muss nicht mehr jedes einzelne Rad selber drehen.
Ihr habt dieses Jahr zum ersten Mal zwei neue re:publica-Formate dabei: die Fachkonferenzen und das Netzfest. Was steckt dahinter?
Der konkrete Grund ist, dass wir uns schon lange damit beschäftigt haben, inwiefern die re:publica sich weiterentwickeln kann und soll. 2017 haben wir dazu eine Umfrage gestartet. Das Fazit der TeilnehmerInnen: Eure Themenvielfalt ist super, aber manchmal wünschen wir uns noch mehr Tiefe. Und dafür stehen jetzt die Fachkonferenzen. Wir wollen einer gewissen Klientel, die den Business-Aspekt noch stärker vertiefen will, genau das bieten. Dies Jahr erstmalig und als Testballon.
Und das Netzfest ist eine Veranstaltung, die auch schon eine Weile in den Köpfen des GründerInnen-Teams herumgeisterte und dieses Jahr am 5. Mai das erste Mal im Park am Gleisdreieck in Berlin stattfinden wird, gratis, draußen und für alle.
Das Netzfest richtet sich an die breite Öffentlichkeit und soll vor allem den Schwellenabbau fördern. Also Jung wie Alt die potentielle Angst vor der Digitalisierung nehmen. Dort werden in Workshops und Vorträgen sehr bürgernahe Themen rund um die Digitalisierung angeboten. Zum Teil auch mit einem spannenden Perspektivwechsel, wie ihn die TINCON, die mit einem eigenen großen Workshop- und Vortragszelt dabei sein wird, vornimmt. Dort werden Jugendliche den Erwachsenen unter anderem beibringen wie man Filme mit dem Smartphone erstellt.
Aber auch der Berliner Beauftragte für Datenschutz wird erklären, was die neue DSGVO, die am 25. Mai in Kraft tritt eigentlich für den „normalen Bürger“ bedeutet.
Das Deutsche Technik-Museum öffnet an diesem Tag ihre Dauerausstellung „Das Netz“ für alle BesucherInnen des Netzfestes. Und natürlich, wie es sich für ein ordentliches Volksfest gehört, wird es auch tolles Rahmenprogramm mit Live-Musik und leckeres Essen geben.
Wir wollen mit dem Fest eine Plattform schaffen auf der wir alle Akteure auf Augenhöhe in einen Dialog bringen, und ihnen mitteilen: Ihr seid nicht allein. Wir machen uns jetzt gegenseitig netzfest.
Die Besucherzahlen der re:publica steigen stetig. Ist in Planung, auch die Konferenz an sich mehr für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen?
Wir sind jetzt im zwölften Jahr, das ist eine wahnsinnige Leistung. Angefangen hat die re:publica 2007 als Bloggerkonferenz mit 700 TeilnehmerInnen. Letztes Jahr waren es bereits 9.000 TeilnehmerInnen – das ist schon ein ganz schön breite Öffentlichkeit. Es ist auch dieses Klassenfahrt-Feeling, was andererseits den Charme auf der re:publica ausmacht. Da stehen Leute auf dem Hof, die waren vor zwölf Jahren auch schon da, bringen jetzt ihre Kinder und ihre Kumpels mit, das ist total schön und in der Form wächst die Veranstaltung dann eben schon.
Thematisch wiederum öffnen wir uns ja jedes Jahr aufs Neue, einfach, weil wir uns gesellschaftlichen Entwicklungen annähern. Aber, dass wir jetzt sagen, wir machen re:publica für alle, das würde vermutlich nicht funktionieren, weil wir ja nicht alle auf dem gleichen Wissensstand sind.
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Das Netzfest ist eine Veranstaltung, die auch schon eine Weile in den Köpfen des Teams herumgeisterte und jetzt einfach mal ausbrechen musste. Dort sollen sich alle treffen, die an Austausch interessiert sind. Ob das der Senioren-Computer-Club ist, dessen Mitglieder sich WhatsApp beibringen, die besorgten Eltern, die nicht wissen, was die Kinder im Netz treiben oder die Kinder selbst, die meist zwar technisch gesehen weiter als ihre Eltern sind, aber nicht unbedingt medienkompetent.
Wir wollen mit dem Fest eine Plattform mit Workshops und Vorträgen schaffen, auf der wir diese Akteure auf Augenhöhe in einen Dialog bringen, vor allem, um potenzielle Ängste vor dem Digitalen zu nehmen und ihnen zu sagen: Ihr seid nicht allein. Wir machen uns jetzt gegenseitig netzfest.
Aber wäre es nicht schön, diese unterschiedlichen Menschen mit den unterschiedlichen Wissensständen zusammenzubringen? Wenn die ältere Person, die keine Ahnung von Digitalisierung hat und deswegen vielleicht nur zum Netzfest geht, auch in einem Panel sitzen würde zusammen mit dem totalen Nerd.
Das würde aber bedeuten, dass wir irgendein Level finden müssten, auf dem die beiden sich treffen. Das halte ich für schwierig. Ein Szenario wäre spannend, in dem wir mit künstlicher Intelligenz, VR oder was auch immer eine Vereinigung herstellen könnten. Aber gerade dieses Extrem: die ältere Person, die nur Basiswissen über Digitalisierung hat und der digitale Nerd – wie sollen die sich vereinen? Das wäre dann idealerweise eine Art Mentoring – und das machen wir ja in diesem Jahr auf dem Netzfest.
Gibt es trotzdem noch Aspekte, die es bei der re:publica zu verbessern gilt?
Es wäre vermessen zu sagen, wenn nicht. Es gibt immer Verbesserungspotenzial, da schauen wir stets über den Tellerrand und reagieren auf Entwicklungen, wie zum Beispiel beim Thema Diversity, darunter zählen ja auch Gender Balance, die Herkunftsländer der TeilnehmerInnen und People of Colour.
Inwiefern funktioniert das schon gut: Wie divers ist die re:publica?
Inzwischen total divers. Wir haben in diesem Jahr ungefähr 15 Prozent People of Colour bei uns auf der Bühne, was super ist. Im letzten Jahr hatten wir 47 Prozent weibliche Speaker und werden das in diesem Jahr wahrscheinlich noch steigern. Unser großer Wunsch mit 50/50 ist immer schwierig, aber wir sind auf einem sehr guten Weg.
Außerdem fragen wir explizit bei Panel-Bewerbern ab, ob 50 Prozent Frauen auf der Bühne vertreten sein werden. Wenn das nicht gewährleistet werden kann, aus welchen Gründen auch immer, müssen sie eben eine andere Diversität auf die Bühne bringen.
Du sagtest, nach der re:publica ist vor der re:publica. Wann fängt bei euch die Planung für die nächste re:publica an?
Also, der allererste Workshop diesbezüglich ist am 23. Mai.
Also kein nahtloser Übergang?
Mit den Fachkonferenzen parallel und dem Netzfest im Anschluss an die re:publica 2018 ist der Veranstaltungszeitraum länger als sonst. Deshalb gönnen wir uns eine Pause. Aber wir haben viel vor, auch für das nächste Jahr und deswegen ist die Pause auch nicht unendlich lang, dann nimmt man auch noch alle Eindrücke der vergangenen re:publica ganz frisch mit in die Planungen der nächsten. Das passt super.
Jeannine, vielen Dank für das Interview!
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Disclaimer: futurezone ist Medienpartner der re:publica 18.