Wenn du denkst, ein Leben ohne Smartphone wäre nicht mehr möglich, irrst du dich vielleicht. Was für dich nach einem Gedankenexperiment klingt, war in einem Selbstversuch für die Studenten von Philosophieprofessor und Autor Ron Srigley kurze Zeit lang Realität: Sie verzichteten für neun Tage auf ihr Handy. Doch was hat dieses Experiment gebracht? Und wie stehen unsere Chancen aufs Überleben überhaupt, so ganz ohne den hilfreichen Begleiter aus der Hosentasche? Wir verraten es dir.
Ein Leben ohne Smartphone: Sind wir abhängig vom Handy?
In zwei Studien, ein mal im Jahr 2014 und ein zweites Mal im Jahr 2018, bot Srigley seinen Studenten an, ihnen Extra-Punkte zu geben, wenn sie ihr Leben ohne Smartphone für die nächsten neun Tage verbringen, indem sie es ihm aushändigten. Auf die Idee kam er, weil er die Leistung seiner Studenten unter der mobilen Technologie leiden sah. Willigten seine Schüler ein, entzog er ihnen das Handy und bat sie, über ihre Erfahrungen in der Zeit zu schreiben. Was dabei herauskam, ist beeindruckend.
2014 versagte beinahe seine gesamte Klasse, als er ihr die Aufgabe stellte, ein Buch zu lesen und den Inhalt anschließend wiederzugeben. Die Studenten lasen das Buch, aber konnten sich an das Gelesene kaum noch klar erinnern. Er vermutete die Schuld bei der Ablenkung der Smartphones, die seine Schüler regelmässig nutzten und machte ihnen ein verlockendes Angebot: Neun Tage Smartphone-Abstinenz im Tausch gegen bessere Noten. Die Erfahrungen der Teilnehmer ließ er aufschreiben und veröffentlichte sie zusammengefasst im Anschluss.
Lediglich zwölf seiner Schüler willigten ein. Eine wirklich geringe Zahl in Anbetracht der Tatsache, dass nahezu die gesamte, mehr als 30-köpfige Klasse, versagt hatte. Sie zeigt vorallem eines: Die Bereitschaft, sein geliebtes Handy aufzugeben, ist sehr gering. Die zwölf mutigen Teilnehmer des Experiments boten allerdings sehr interessante Eindrücke, die sich alle zusammenfassen lassen: Am Anfang fühlten sich die Studenten disorientiert und frustriert, aber nach einer kurzen Zeit stellten sie auch ganz andere Dinge an sich fest.
Diese Effekte zeigte das Experiment an den Studenten
Srigley fasste die Erkenntnisse in fünf Unterpunkten zusammen, die alle einen unterschiedlichen Effekt auf seine Schüler erklären. Wir haben sie dir ebenfalls ein mal zusammengefasst und sind selbst verblüfft, wie sich ein Leben ohne Smartphone auf uns auswirken könnte.
#1 Sie schenkten den Menschen um sie herum mehr Aufmerksamkeit
Nicht nur, dass es den Schülern auffiel, wie viel andere Menschen um sie herum ihr Smartphone nutzten. Teilweise verärgerte es sie sogar, dass Leute, mit denen sie sich gerade unterhielten, inmitten des Gesprächs auf ihr Handy sahen oder sogar Nachrichten beantworteten. Eine Schandtat, die sie nicht bestreiten konnten, selbst bereits begangen zu haben. Noch viel interessanter ist, dass sie anmerkten, wie häufig Menschen bei direktem Augenkontakt schnell das Handy zückten, um Konversationen aus dem Weg zu gehen.
#2 Bessere Konversationen mit der Familie
Zwei Teilnehmer des Experiments stellten eine erhebliche Verbesserung der Gespräche zwischen ihnen und ihrer Familie fest. Benutzten sie vorher fast ganztägig einen Messenger, um zu kommunizieren, freuten sie sich nun über echte Gespräche in ihrem Leben ohne Smartphone und schenkten ihren Familienmitgliedern ungeteiltes Interesse.
#3 Sie verspürten mehr Angst
In einem Leben ohne Smartphone machte sich bei vielen der Studenten instinktiv Angst breit und sie sahen die Welt plötzlich als einen wesentlich gefährlicheren Ort als je zuvor. Was ist, wenn ich einen Krankenwagen rufen muss, oder sogar gekidnapped oder angegriffen werde? Obwohl alle Schüler in einem Wohnort mit einer niedrigen Kriminalitätsrate lebten und vermutlich jemand anderes in solch einem Fall ein Handy zur Hand gehabt hätte, verspürten sie ein Unwohlsein bei der Vorstellung. Eine Entwicklung dahin könnte der Besitz eines Smartphones überhaupt erst fördern: Wir haben seit der Erfindung viel weniger Kontakt mit Fremden, sei es, um nach der Uhrzeit oder nur nach dem Weg zu fragen, blicken wir lieber zuerst auf unser Display.
#4 Ihre Produktivität steigerte sich
Zumindest in Hinsicht auf ihre Arbeiten oder ihre Lernaktivität konnten die Schüler dieses Phänomen verzeichnen. In einem Leben ohne Smartphone ist man bei der Erledigung wichtiger Dinge viel fokussierter und arbeitet schneller, konzentrierter und leistungsfähiger im Allgemeinen, beschreiben sie nach dem Experiment. Auch um Dinge zu klären, sei das Handy gar nicht nötig gewesen: Sie riefen die zu sprechende Person ganz einfach per Festnetz an, anstatt bei Whatsapp auf Nachrichten zu warten.
#5 Sie liebten es, weniger gestört zu werden
Egal, in welchem Gedankengang du dich gerade befindest: Eine Push-Benachrichtigung holt dich binnen Sekunden aus diesem heraus. Der unendliche Strom aus Neuigkeiten, egal wie irrelevant sie sein mögen, lässt nie einen wirklich tiefgründig zuende gedachten Gedanken zu und verkürzt unsere, heutzutage sowieso schon geringe, Aufmerksamkeitsspanne.
Das Gefühl, ungestört und nicht auf Abruf sein zu können, war für einen Studenten so schön, dass er wenige Wochen nach dem Experiment sein Leben ohne Smartphone so vermisste, dass er es in einen nahegelegenen Fluss warf.
Fazit: Trotzdem ist ein Leben ohne Smartphone nicht möglich
Die Teilnehmer der Studie im Jahre 2018 waren laut Srigley noch viel abhängiger von ihren Handys, als die Schüler aus dem Experiment vier Jahre zuvor. Obwohl beide Studi-Gruppen absolut ähnliche Erfahrungen machten, fassten die letzten Teilnehmer 2018 den Schluss, ein Leben ohne Smartphone sei für sie unmöglich. Selbst bei den einfachsten Aktivitäten, wie zum Beispiel das Erwischen eines Busses oder der Verabredung zum Essen, stellten sie vor unlösbare Probleme. Eine Schülerin schrieb außerdem: „Ein Leben ohne Smartphone wäre simpel und real, aber man wird von der Welt und der Gesellschaft abgehängt. Das geht nur für eine kurze Zeit“.
Vielleicht müssen wir uns aber schon mal auf ein Leben ohne Smartphone in der Zukunft vorbereiten: Samsung prophezeit das Ende des Handys in den nächsten fünf Jahren. Warum der Besitz eines Smartphones nicht nur unnötig, sondern sogar gefährlich sein kann, verraten wir dir außerdem noch.