Manchmal träumt Rolf von den Figuren, die er an seinem Arbeitsplatz gestaltet. „Ich denke immer an sie“, sagt der Grafiker, der im Mainzer Studio des Computerspielherstellers Ubisoft als Character Artist arbeitet: Er entwickelt animierte 3D-Gestalten für Computerspiele. Vor der Fachmesse Gamescom in Köln wird bei Ubisoft Blue Byte in Mainz emsig an drei verschiedenen Spielen gearbeitet.
Einige seiner Figuren hat Rolf zuhause auf dem 3D-Drucker ausgedruckt und vor sich auf den Schreibtisch gestellt. Mit der Animationssoftware 3ds Max spendiert er einer Science Fiction-Frau ein zuckendes Auge. Entwickelt er in seiner Arbeit ein emotionales Verhältnis zu den Spielcharakteren? „Auf jeden Fall“, sagt der 25-Jährige und lacht. Schließlich benötigt er für eine Figur ein bis drei Wochen, um jedes Detail zu gestalten. Erst wenn der Art Director seine Zustimmung gibt, wird das digitale Wesen ins Computerspiel aufgenommen.
Milliarenumsätze der Gamesbranche
Millionen Menschen begeben sich in die virtuellen Spielwelten, um auf Zeit dem grauen Alltag zu entfliehen. Im ersten Halbjahr kletterte der Umsatz mit Spielen für PC, Spielekonsole oder mobile Geräte bundesweit um elf Prozent auf 1,08 Milliarden Euro.
Wirtschaftspolitiker schätzen die Computerspielbranche nicht nur wegen ihrer Wertschöpfung, sondern auch wegen ihrer Impulse auf den Prozess der Digitalisierung in vielen anderen Bereichen. „Durch das kreative Umfeld sowie die bereichsübergreifende Zusammenarbeit entstehen Innovationen, die für die digitale Entwicklung der gesamten Wirtschaft einen Mehrwert bringen“, sagt der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP). „Die Gamesbranche ist ein Vorreiter der Digitalisierung und gibt der Gesamtwirtschaft wichtige Impulse.“
Für Impulse sorgt auch Björn, der als digitaler Weltenschöpfer Inseln gestaltet – „damit der Ozean nicht so leer ist“, wie er erklärt. Um schöne Inselformen auf den Bildschirm zu bringen, lässt er sich von den Satellitenaufnahmen bei Google Earth inspirieren. Dann kommt die Vegetation hinzu. Es gebe natürlich für jedes Spiel bestimmte Vorgaben, erklärt der 28-Jährige. „Aber wenn ich etwa eine Höhle in einen Berg bringen möchte, habe ich auch die Freiheit, das zu tun.“
„Manchmal raucht der Kopf“
Inseln gibt es viele in den vier Spielen der Anno-Serie, die bisher in Mainz entwickelt wurde. Damit sie ebenso wie die dort herumwuselnden Menschen und die vielen unterschiedlichen Gebäude auch angezeigt werden können, muss es ein Programm geben, das die Darstellung auf dem Computerbildschirm berechnet. Um diese 3D-Engine kümmert sich Frank.
„Manchmal raucht der Kopf“, sagt der 35-jährige Programmierer. Ein Großteil seiner Arbeit ist das Debuggen, die Suche nach Fehlern oder Schwächen im Programmcode, der allein für die 3D-Engine mehrere hunderttausend Code-Zeilen in der Programmiersprache C++ umfasst. „Am schönsten ist es, wenn ich kurz vor Feierabend einen Fehler beheben kann und diesen nicht mehr am nächsten Tag vor Augen haben muss.“
Auch Claudia beschäftigt sich im Blue-Byte-Team mit Sprache, aber nicht mit C++. Sie entwirft als Narrative Designer im Computerspielteam unter anderem die Dialoge der Figuren. Es geht darum, die Phantasie der Spieler anzuregen, Sprache und Optik zu einem stimmigen Ganzen zu verbinden. „Mir ist wichtig, auch Humor hineinzubringen“, erklärt die 24-Jährige. „Aber wenn ein Witz zu flach ist, sollte man ihn besser weglassen.“
Produktionskosten wie bei Kinofilmen
In der Entwicklung von Computerspielen greift ein Rädchen ins andere. Programmierer und Grafiker sind auf die Game Designer angewiesen, die wie Drehbuchautoren beim Kinofilm Spielideen und Spielregeln entwerfen. Hinzu kommen eine Testabteilung und das Projektmanagement, das die Prioritäten der einzelnen Aufgaben festlegt.
„Wir haben zwar sehr flache Hierarchien, aber es müssen schon bestimmte Abläufe eingehalten werden“, sagt der Mitbegründer des Studios und Executive Producer, Burkhard Ratheiser. Er ist auch derjenige, der aufs Geld achten muss – je nach Spielkonzept erreichen die Produktionskosten locker das Budget für die Produktion eines Kinofilms.
Das Mainzer Team ist eingebunden in ein Netz mit anderen Standorten wie Düsseldorf, Montreal und Singapur. Firmensprache ist Englisch, auch werden die Spiele zuerst auf Englisch entwickelt. Je nach Talenten und besonderen Fähigkeiten arbeiten die Entwickler international an gleichen Projekten zusammen. „Mainz ist nicht so hip wie Berlin, aber das haben wir nie als Problem empfunden“, sagt Ratheiser. „Wir sind hier aufgewachsen, wir kommen aus der Region. Die Mitarbeiter fühlen sich hier wohl und das ist am wichtigsten in einem kreativen Unternehmen.“