„Da unten ist noch viel Platz“ – diese Worte aus einem Vortrag des Physikers Richard Feynman leiteten 1959 laut Auffassung vieler Wissenschaftler das Zeitalter der Nanotechnologie ein. „Da unten“ bezeichnet die Welt der besonders kleinen Maßstäbe. Ein Nanometer ist ein Milliardstel Meter, in Zahlen ausgedrückt 0,000000001 Meter. Begreifbarer wird das vielleicht mit ein paar Vergleichen: Ein Nanometer ist im Vergleich zu einem Meter wie eine Spielmurmel zur Erde. Ein Nanometer ist eine Million Mal kürzer als eine Ameise lang. Ein Blatt Papier ist rund 100.000 Nanometer dick. Ein rotes Blutkörperchen hat einen Durchmesser von 8.000 Nanometern. Die DNA-Doppelspirale hat einen Durchmesser von 2,5 Nanometern.
Die Vision von winzigen Maschinen im Körper
Feynman begeisterte seine Zuhörer 1959 mit der Vision von winzigen Maschinen, die Materie auf atomarer Ebene manipulieren können, und Daten, die auf kleinstem Raum gespeichert werden. In den Jahren und Jahrzehnten darauf fand die Vorstellung der mysteriösen Nanowelt Einzug in zahlreiche fiktive Geschichten. Vor allem das Eindringen einer Maschine in den menschlichen Körper erschien interessant. Eines der bekanntesten Beispiele ist wahrscheinlich der Film „Fantastic Voyage“ (deutscher Titel: „Die phantastische Reise„) aus dem Jahr 1966. Darin wird ein U-Boot mitsamt fünfköpfiger Besatzung geschrumpft, um im Hirn eines übergelaufenen Ostblock-Wissenschaftlers ein Blutgerinnsel zu entfernen. Während Miniatur-Menschen dabei noch selbst Hand anlegten und mit weißen Blutkörperchen zu kämpfen hatten, übernahmen in späteren Geschichten autonom agierende Roboter die Kontrolle. Man denke an die Nanoprobes in Star Trek, mit denen die Cyborg-Spezies Borg Individuen zu willenlosen Arbeitern im kollektiven Schwarm macht.
Nanoroboter sollen Krankheiten bekämpfen
Bis heute fasziniert die Idee, dass Nanoroboter am Menschen Reparaturen und Verbesserungen in kleinsten Bereichen vornehmen könnten. Der Google-Chefingenieur Ray Kurzweil ist etwa überzeugt davon, dass Nanoroboter bis 2029 fortschrittlich genug sein werden, um Krankheiten im Menschen zu bekämpfen und sogar den Alterungsprozess zu verlangsamen. Freilich sollen durch Nanoroboter auch bisher ungekannte Möglichkeiten der Verbindung zwischen Mensch und Internet ermöglicht werden. Ab 2045 soll dann überhaupt die Unsterblichkeit Standard sein.
Enormes Potenzial
Vorstellungen wie diese und die Praxis klaffen derzeit noch weit auseinander. Das Potenzial, das Nanorobotern oder Nanotechnologie im Allgemeinen zugerechnet wird, ist immer noch enorm. Die Marktforscher von „Research and Markets“ gehen davon aus, dass die Nanotech-Branche bis 2020 rund 68,5 Milliarden Euro Umsatz machen wird. Die hauptsächlichen Produkte werden allerdings keine Mini-U-Boote sein – jedenfalls nicht so, wie man sich das vielleicht ausmalt, mit integrierten Antrieben, Rechnern, Sensoren, Instrumenten und vielleicht sogar Künstlicher Intelligenz. Die aktuelle Forschung beschäftigt sich vielmehr mit Dingen, die wesentlich banaler wirken, etwa tonnenförmigen Transportbehältern, blubbernden Röhrchen, magnetischen Korkenziehern oder präparierten Fettkügelchen.
Wie Roboter in der Makrowelt kann man sich die bisherigen Entwicklungen im Nano- oder Mikrobereich jedenfalls nicht vorstellen, aber Roboter sind es dennoch: Maschinen, die vom Menschen entwickelt wurden und selbstständig eine vorprogrammierte Mission erfüllen. Laut dem kalifornischen Biochemiker Michael Sailor gibt es für Nanoroboter drei Regeln. Erstens: Gehe, wohin man dich schickt. Zweitens: Tu, was dir aufgetragen wurde. Drittens: Verschwinde und lass keinen Dreck zurück!
Fortbewegung mit rotierender Spirale
Es geht also zunächst um Bewegung, dann um einen bestimmten Auftrag und am Ende um Harmlosigkeit für den Menschen. An der Technik-Universität ETH Zürich wird etwa an sogenannten „Nanoswimmern“ geforscht. Dabei handelt es sich um kleine, magnetische Spiralen, die etwa doppelt so groß wie ein rotes Blutkörperchen sind. „Als Inspiration für diese winzig kleinen Roboter dienen Escherichia-coli-Bakterien“, erklärt Franziska Ullrich vom Multi-Scale Robotics Lab der Schweizer Uni. Das Bakterium bewegt sich mittels einer rotierenden Geißel, einem sogenannten Flagellum, durch Flüssigkeiten.
„In solchen Dimensionen wirken zwar die gleichen Kräfte wie in der Makrowelt, aber das Verhältnis der verschiedenen Kräfte ist ganz anders“, meint Ullrich. Mit einer hin- und herschwenkenden Flosse würden Nanoroboter nicht vom Fleck kommen. Mit einer rotierenden Spirale kommt man hingegen voran. Damit sich die Spirale des Nanoswimmers dreht, werden außerhalb des Körpers Elektromagneten eingesetzt. Diese erzeugen ein rotierendes, schwaches Magnetfeld, durch das die Nanoswimmer in eine Richtung getrieben werden. Verändert man das Magnetfeld, kann der Rückwärtsgang eingelegt werden.
Magnetismus sorgt für Präzision
Das Beispiel zeigt, dass es Tricks bedarf, um Nanorobotern einen effektiven Antrieb zu verleihen. Magnetismus ist dabei derzeit eine praktische Option. Elektromagneten müssen dafür nicht auf Nanogröße geschrumpft werden. Franziska Ullrich hat im Rahmen ihrer Doktorarbeit die Bewegung eines Magneten in einem lebendigen Auge erforscht. Ein kleiner, magnetischer Zylinder wurde dabei in das Auge eines Hasen injiziert und im Glaskörper bewegt. Der kleine Zylinder soll dereinst mit einem Medikament befüllt werden, das punktgenau an seinen Einsatzort befördert werden soll. Mit Magnetismus kann man aber nicht nur freischwimmende Roboter, sondern auch winzige Katheter präzise steuern. „Ärzte haben Instrumente gern, die sie zur Not aus dem Körper rausziehen können“, meint Ullrich.
Chemische Antriebe
Abgesehen von magnetischen Motoren wird aber auch an chemischen Antrieben geforscht. Das Max Planck Institut für intelligente Systeme in Stuttgart etwa hat eine Art Raketenantrieb im Nanomaßstab entwickelt. Dabei handelt es sich um ein Nanoröhrchen aus Siliziumdioxid, das 220 Nanometer Durchmesser aufweist. Das Röhrchen ist mit dem Enzym Urease beschichtet, das Harnstoff in Ammoniak und Kohlendioxid zerlegt. Die Reaktionsprodukte bewirken in harnstoffhaltiger Flüssigkeit eine Strömung, das Röhrchen wird dadurch beschleunigt. Indem man der winzigen Düse eine bestimmte Form gibt, wird die Strömungsrichtung vorgegeben. Forscher an der Universität Hongkong haben Nanoroboter entwickelt, die Licht als Energiequelle verwenden. Sie nutzen den photoelektrischen Effekt, um ein Feld zu erzeugen, das sie in Richtung der Lichtquelle treibt.
Aufgebaut wie ein Überraschungsei
Keinerlei Sorgen um einen Antrieb müssen sich all jene Nanoroboter machen, die den Blutkreislauf des Menschen ausnutzen. Sie werden in fast alle Bereiche des Körpers geliefert. Worum es bei jenen Robotern geht, ist, genau zu wissen, wo sie sich befinden und was sie an ihrem Zielort tun müssen. Diese Roboter sind es auch, an denen derzeit wohl am intensivsten geforscht wird. „Ihren Aufbau kann man sich so vorstellen wie ein Überraschungsei“, meint Andreas Falk, Geschäftsführer des Nanotechnologie-Netzwerks BioNanoNet und Koordinator der nationalen Technologieplattform NanoMedicine-Austria.
„Außen befindet sich eine Schokoladeschicht, die für den Körper gut verträglich ist. Im Inneren sitzt eine Kapsel, die mit einem Medikament gefüllt ist.“ Erreicht der Nano-Transporter seinen Einsatzort, treten Rezeptoren an seinem Äußeren in Wechselwirkung mit dem Zielgewebe und die Kapsel öffnet sich, um das Medikament freizugeben. Diese Art von Nanorobotern wird vor allem bei der Bekämpfung von Krebstumoren eingesetzt. Falk: „Die Tumorzellen weisen Rezeptoren auf, auf die der Nanocarrier genau draufpasst. Das Öffnen der Kapsel funktioniert nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip.“ Die Transportbehälter selbst sind oft Fettkügelchen (Liposome) oder Proteine. Sie können aber auch aus DNA bestehen. Das Molekül eignet sich nicht nur als Träger von Erbinformationen, sondern auch als Baumaterial. Forscher der Harvard University in den USA haben etwa Medikamentenbehälter im Nanoformat daraus geformt, die Tumorzellen gezielt attackieren können.
Nanotechnik kann für weniger Nebenwirkungen sorgen
Dass man Medikamente mit Nanorobotern an ihr Ziel bringen will, hat einen einfachen Grund: Bessere Verträglichkeit für den Patienten. Zahlreiche Medikamente, die Patienten schlucken oder per Injektion erhalten, verteilen sich im gesamten Körper und entfalten teilweise schwere Nebenwirkungen. „Bei der Chemotherapie etwa kommt es zu starker Übelkeit, Haarausfall und sogar zur Reduzierung der Knochendichte“, meint Andreas Falk. Durch den Einsatz von Nanorobotern können Medikamente gezielt verabreicht werden. Man braucht geringere Dosen, vermeidet empfindliche Regionen und minimiert die Nebenwirkungen.
„Man verschafft Menschen dadurch die bestmögliche Lebensqualität“, ist Falk überzeugt. „Derzeit muss man oft nach Einnahme einer Pille zusätzlich noch einen Magenschutz zu sich nehmen. Bei Nanocarriern ist die Schutzhülle bereits drauf.“ Durch Oberflächenbearbeitung auf Nanoebene lasse man Nanoroboter „wie eine Art Stealth Bomber“ durch den Körper gleiten. Das BioNanoNet-Netzwerk bemühe sich, gemeinsam mit Forschern sicherzustellen, dass Nanocarrier möglichst verträglich und unbedenklich für den Menschen sind.
Sonden warnen frühzeitig
Derzeit wird laut Falk viel Vorarbeit geleistet, um Nanoroboter in Zukunft noch leistungsfähiger zu machen. Absehbar ist etwa der Einsatz von Nanorobotern als Sensoren, die im Blutkreislauf schwimmen und potenziell gefährliche Veränderungen im Körper feststellen. Sollte sich eine Arterie verengen oder ein Tumor wachsen, könnten Nanoroboter dies erkennen und die Problemzonen markieren, damit sie etwa bei einer Magnetresonanzuntersuchung sofort aufgefunden werden können. Dass Gesundheitswarnungen von Nanorobotern als Pop-up-Meldungen am Smartphone auftauchen, ist in näherer Zukunft noch nicht zu erwarten.
Operationsroboter
Sowohl Franziska Ullrich als auch Andreas Falk beschreiben außerdem Zukunftsvisionen von minimal invasiven Operationen. Falk: „Ich stelle mir vor, dass ein Patient in einen OP-Saal gebracht wird, in dem sich kein einziger Mensch mehr aufhält. Der Patient wurde vorher mit hochauflösenden Diagnostik-Apparaten untersucht und wird dann von Robotern operiert, die präzise genug sind, um im Nanobereich einzelne Zellen zu entfernen.“ Es gibt bereits Versuche mit Vorläufern solcher Operationsroboter. Diese erkennen selbstständig Hindernisse und können diese ohne Zutun des Operateurs umgehen.
Einsatz auch bei psychischen Krankheiten
Ein weiteres Zukunftsszenario rund um Nanoroboter ist die automatische Behandlung von Symptomen anhand bestimmter Auslöser. Israelische Forscher haben etwa Nanocarrier entwickelt, die Medizin freisetzen, wenn sie elektromagnetischer Strahlung ausgesetzt werden. Versuchspersonen wurde eine EEG-Haube aufgesetzt, durch die bei bestimmten Hirnaktivitäten ein Elektromagnet aktiviert wurde. Im Versuch wurden die Testpatienten angewiesen, mathematische Aufgaben zu lösen.
Die Forscher halten es aber für möglich, dass künftig auch Hirnaktivitäten im Zusammenhang mit psychischen Krankheitsbildern erkannt werden können, etwa Schizophrenie oder Depressionen. Patienten könnten auf diese Weise gewisse Symptome durch automatische Behandlung bekämpfen.
Bioelektronische Implantate
Das Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline forscht an bioelektronischen Implantaten, die als eine Art Manschette an Nervenbündeln angelegt werden. Die Implantate sollen Nervensignale abfangen und verändern. Auf diese Weise sollen etwa die Krämpfe von Asthma-Kranken gelöst werden. Diverse andere Krankheiten können durch Veränderungen an der Programmierung des Implantats behandelt werden. Die Einnahme von Medikamenten könnte bis zu einem gewissen Grad ersetzt werden. Prototypen in Pillen-Größe werden bereits an Ratten getestet. Die Anwendung im Menschen ist aber noch in ferner Zukunft. Das hochkomplexe Nervensystem des Menschen ist noch zu wenig erforscht. Außerdem sind bestimmte Komponenten, die für die bioelektronischen Implantate notwendig wären, etwa miniaturisierte Computer, Energiequellen und Kommunikationsgeräte, derzeit noch viel zu groß.
Krebsbehandlung als Heiliger Gral
Von Nanorobotern, die Atome wie Legosteine zusammenbasteln und sich selbst replizieren, um jegliches gesundheitliche Problem im menschlichen Körper zu lösen – so wie es Richard Feynman und später auch der Nanotechnologie-Pionier Kim Eric Drexler vorhersahen –, ist die Forschung noch weit entfernt. „So wie das gedacht war, ist das nicht unbedingt realistisch und auch nicht sinnvoll“, ist Franziska Ullrich überzeugt. „Als Heiligen Gral der Nanorobotik sehe ich die Krebsbehandlung. Da geht es nicht darum, dass Roboter mit Greifarmen ausgestattet sind. Sinnvoller wäre ein Schwarm von Nanorobotern, die sich um einen Tumor herum ansetzen und gezielt Medikamente abgeben. Man könnte in Zukunft damit die Chemotherapie ersetzen. Aber das ist eine Vision. Soweit sind wir noch nicht.“
Dieser Artikel erschien zuerst auf futurezone.at.
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