Forschende haben auf der Fraueninsel im Chiemsee eine bisher unbekannte Kultstätte entdeckt. Sie nehmen an, dass sie seit 1.000 Jahren verborgen lag. Der archäologische Fund erfolgte während der Suche nach den Überresten einer 600 Jahre alten Kirche, die wohl im frühen 19. Jahrhundert zerstört wurde.
Archäologischer Fund auf der Fraueninsel
Die Fraueninsel ist Teil der Chiemsee-Inseln, zusammen mit der Krautinsel und dem Herrenchiemsee. Die bei der Ausgrabung verwendete Radartechnologie enthüllte eine oktogonale romanische Struktur unter dem Fundament der Kirche, was auf einen bedeutenden architektonischen Fund hindeutet.
„Im Bereich des Fundes gab es die zum Kloster gehörende, erstmals für das Jahr 1393 überlieferte Kirche St. Martin“, zitiert das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) den Bürgermeister der Gemeinde Chiemsee, Armin Krämmer, in einer Pressemitteilung. „Sie befand sich auf dem höchsten Punkt der Insel und wurde 1803 im Zuge der Säkularisation abgerissen. Doch dass es einen älteren Vorgängerbau gab, das ist auch für uns eine große Überraschung.“
Das romanische Gebäude deutet auf eine bedeutende historische und kulturelle Stätte hin und stellt bisherige Verständnisse der Geschichte der Region in Frage. Expert*innen glauben, dass der archäologische Fund eine Neubewertung der Geschichte der Frauenwörth-Abtei, die um 782 von Herzog Tassilo III. gegründet wurde, erfordert. Trotz umfangreicher Forschungen über die Abtei blieb die Geschichte des restlichen Teils der Insel weitgehend unbekannt – bis zu diesem Fund.
„Absolute Seltenheit“
Das BLfD führte die Radarmessungen durch, die zur Entdeckung der Grundmauern des Zentralgebäudes führten. Diese waren in keiner historischen Schrift oder Karte dokumentiert. Der architektonische Stil der oktogonalen Struktur ist in der Region Bayern selten, mit nur wenigen bekannten ähnlichen Beispielen.
„Zentralbauten sind in der vorromanischen und romanischen Sakralarchitektur nördlich der Alpen selten und damit eine sehr individuell gestaltete Bauform, die oftmals in der Nachfolge der Pfalzkapelle zu Aachen oder als Imitation der Grabeskirche in Jerusalem gedeutet wird“, erläutert Mathias Pfeil, Generalkonservator des BLfD. „In Bayern sind achteckige Zentralbauten mit innerem Säulenumgang bislang lediglich mit St. Andreas in Bamberg, um 1050, und St. Gallus in Würzburg, um 1130, archäologisch nachgewiesen. Wir sprechen hier also von einer absoluten Seltenheit.“
Die Struktur könnte Verbindungen zur seligen Irmengard haben. Die Äbtissin des Frauenwörth-Klosters soll 866 auf der Insel begraben worden sein. Irmengards Verehrung und die Entnahme ihrer Reliquien zwischen den Jahren 1001 und 1020 könnten den Bau des Gedenkgebäudes beeinflusst haben.
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Weitere Einordnung erwartet
Die Entdeckung hat das Interesse von Historiker*innen und Archäolog*innen geweckt, die darauf brennen, die Daten weiter zu analysieren, um die historische Bedeutung der Stätte zu verstehen. Doch auch an der Politik ging der archäologische Fund nicht unbemerkt vorüber.
„Bayerns reiches kulturelles Erbe ist immer für eine Überraschung gut – das beweist der Sensationsfund im Chiemgau einmal mehr“, betonte etwa der Bayerische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Markus Blume. Die bei Radarmessungen entdeckten Grundmauern auf der Fraueninsel würden unterstreichen, dass den fachkundigen Blicken der Denkmalpfleger*innen wirklich nichts entgehe. „Ein derartiger Grundriss eines romanischen Zentralbaus hat nördlich der Alpen absoluten Seltenheitswert. Es bleibt also spannend, wie die Wissenschaft diesen Fund historisch einordnet.“
Quelle: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege
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