Das Voynich-Manuskript ist ein geheimnisvolles, illustriertes Buch, das vermutlich zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert entstand. Es ist berühmt für seine unerkannte Schrift und den rätselhaften Inhalt, der Wissenschaftler seit mehr als einem Jahrhundert fasziniert. Das Manuskript umfasst etwa 240 Seiten, die mit Text in einer bisher unentzifferten Schrift gefüllt sind, sowie zahlreiche detaillierte Zeichnungen. Diese Illustrationen beinhalten Darstellungen von unbekannten Pflanzen, astronomischen Diagrammen und eigenartigen menschlichen Figuren.
Das Voynich-Manuskript: Ein Produkt der (Selbst-)Zensur?
Benannt nach seinem Entdecker, dem Antiquar und Buchhändler Wilfrid Voynich, soll das Schriftstück aus den Häuten von Tieren bestehen, die mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit zwischen den Jahren 1404 und 1438 lebten. Das geht aus einer schon 2009 veröffentlichten Radiokarbonanalyse der University of Arizona hervor, die der Kryptologe und Raumfahrtdynamiker René Zandbergen im Rahmen eines Blogeintrags näher erläuterte. Sein erster bekannter Besitzer jedoch war 1552 bis 1612 der König von Böhmen und Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Rudolf II.
Zwar gilt als umstritten, wer das Voynich-Manuskript angefertigt hat, doch schreiben Keagan Brewer, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Medien, Kommunikation, Kreative Künste, Sprache und Literatur an der Macquarie University und seine Kollegin Michelle Lewis, dass sich Parallelen zu Johannes Hartlieb ziehen lassen. Der bayerische Arzt und Leibarzt lebte circa 1410 bis 1468 und damit in ebenjener Zeitspanne, in der auch das Manuskript entstanden sein soll. Doch ist das längst nicht der einzige Hinweis auf seine Urheberschaft.
So schrieb auch Hartlieb über die Themen, die das Manuskript basierend auf seinen Bildern behandelt – also Pflanzen, Frauen, Magie, Astronomie, Bäder und dergleichen. Auch empfahl er die Verwendung von Chiffren, um medizinische Methoden zur Empfängnisverhütung, zum Schwangerschaftsabbruch oder Sterilität zu verschleiern. Damit habe er sich weniger selbst schützen, sondern vor allem verhindern wollen, dass sein Wissen an Prostituierte, Bürgerliche oder Kinder gelange.
All das muss nicht bedeuten, dass Hartlieb tatsächlich das Voynich-Manuskript verfasst hat. Es könnte ebenso gut sein, dass er in seinem Denken und Handeln lediglich die Zeit widerspiegelt, in der er lebte.
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Kreise als Symbol für Gebärmutter und Vagina
Für die Studie, die Brewer und Lewis im März 2024 im Fachjournal Social History of Medicine veröffentlichten, spielt der Autor selbst nur eine Nebenrolle. Denn sie interessierten sich vielmehr für die Zeichen der Zeit, die Selbstzensur und Verschleierung gynäkologischer und sexologischer Schriften, die sie aus den Arbeiten Hartliebs und anderer ableiteten.
„Durch die Analyse der Voynich-Illustrationen durch diese Linse schlagen wir vor, dass die Rosetten – die größte und aufwändigste Illustration des Manuskripts – ein spätmittelalterliches Verständnis von Sex und Empfängnis darstellen“, schreibt Brewer in Bezug auf kreisförmige, rosettenähnliche Darstellungen innerhalb des Manuskripts. So sei man im Spätmittelalter (1300 bis 1500) davon ausgegangen, dass die Gebärmutter aus sieben Kammern bestehe und die Vagina zwei Öffnungen habe. Die neun großen Kreise der Rosetten könnten ebendiese Kammern und Öffnungen darstellen.
Konkret stelle der mittlere Kreis die äußere und der obere linke Kreis die innere Öffnung der Vagina dar. Im Gegensatz zu den geformten Rändern dieser beiden Kreise sind die verbliebenen sieben glatt – aus Sicht der Studie ein Hinweis darauf, dass sie die innere Anatomie darstellen. „Abu Bakr Al-Rāzī, ein persischer Arzt, der die europäische Medizin des späten Mittelalters beeinflusste, schrieb, dass in den Vaginas von Jungfrauen fünf kleine Venen existieren. Diese verlaufen vom linken oberen Kreis zur Mitte hin.“
Darüber hinaus gebe es eine ganze Reihe weiterer Hinweise auf die Bedeutung der Darstellung. Darunter ein Schloss – damals ein Synonym für die weiblichen Genitalien – und zwei Stacheln, die man zu der Zeit im Uterus vermutete. Zwar könne man bislang nicht alle Illustrationen im Voynich-Manuskript deuten, allerdings empfiehlt Brewer, seinen und Lewis‘ Vorschlag genau zu prüfen. „Wir hoffen, dass künftige Forschungen das Manuskript mit einem ähnlichen Blickwinkel betrachten werden“, schreibt er. „Vielleicht finden wir mit genügend Hinweisen einen Weg, diesen schwer fassbaren Text endlich zu entschlüsseln.“
Quellen: Voynich.nu; The Conversation; „The Voynich Manuscript, Dr Johannes Hartlieb and the Encipherment of Women’s Secrets Get access Arrow“ (Social History of Medicine, 2024)
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