Forschende warnen seit Langem vor dem Abschmelzen der Gletscher, das die umfangreichen Süßwasserreserven der Erde allmählich in die Ozeane freisetzt, den Salzgehalt der Meere verändert und den Meeresspiegel ansteigen lässt. Die gravierenden Folgen dieses alarmierenden Phänomens sind beispielsweise am 79°-N-Gletscher in Grönland deutlich erkennbar.
Längster Gletscher Grönlands stark ausgedünnt
Der 79° N-Gletscher ist die derzeit längste Gletscherzunge Grönlands. Mit einer Länge von etwa 80 Kilometern (km) und einer Breite von 20 bis 30 km bedeckt er einen ganzen Fjord. Unter der 100 bis 600 Meter (m) dicken Eisschicht befindet sich eine gewaltige Höhle, die sich nach und nach mit circa einem Grad Celsius (°C) warmem Wasser füllt. Das wiederum führt der Greenland Ice sheet Ocean Interaction (GROCE) zufolge dazu, dass 79° N von unten her abschmilzt.
Im Nordosten Grönlands platzierte Messinstrumente und Flugzeugradar-Daten zeigen nun, dass aber auch die Oberseite des Gletschers zunehmend an Eis verliert. Wo es einst war, finden sich nun Seen, deren Wasser lange Flüsse bildet und letztlich ins Meer fließt. Eine neue Studie, die Forschende vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) des Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung im Fachjournal The Cryosphere veröffentlichten, zeigt, dass die Dicke von 79° N dadurch seit 1998 um rund 160 m abgenommen hat.
„Seit dem Jahr 2016 haben wir auf dem 79° N Gletscher mit autonomen Instrumenten Radarmessungen durchgeführt, aus denen wir Schmelz- bzw. Ausdünnraten bestimmen können“, erklärt Dr. Ole Zeising, Glaziologe am AWI und Erstautor der Publikation. „Zusätzlich haben wir Flugzeugradar-Daten aus 1998, 2018 und 2021 verwendet, die die Änderungen der Eismächtigkeit aufzeigen. Wir konnten messen, dass sich der 79° N Gletscher in den letzten Jahrzehnten unter dem Einfluss der Klimaerwärmung stark verändert hat.“
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„Vor dem Kollaps eine richtig gute Datenbasis“
Das Team sei erstaunt gewesen, dass die Schmelzraten seit 2018 abgenommen haben, betont Prof. Dr. Angelika Humbert. Grund dafür könne ein kälterer Ozeaneinstrom sein. Überraschend daran sei vor allem, dass der Gletscher so schnell darauf reagierte. Denn eigentlich seien die Eismassen für ihre Trägheit bekannt. Und dennoch: Reduzierte Schmelzraten bedeuten längst nicht, dass 79° N wieder zunimmt.
„Wir erwarten, dass diese schwimmende Gletscherzunge in den nächsten Jahren bis Jahrzehnte zerbricht“, so die ebenfalls an der Studie beteiligte Glaziologin. „Wir haben begonnen, diesen Prozess im Detail zu untersuchen, um maximalen Erkenntnisgewinn aus dem Ablauf des Prozesses zu gewinnen. Obwohl bereits einige solche Desintegrationen von Schelfeisen stattgefunden haben, konnten wir bisher immer nur anschließend Datensätze erheben. Als Wissenschaftsgemeinschaft sind wir jetzt mal besser ‚dran‘, in dem wir schon vor dem Kollaps eine richtig gute Datenbasis aufgebaut haben.“
Quellen: Greenland Ice sheet Ocean Interaction; „Extreme melting at Greenland’s largest floating ice tongue“ (The Cryosphere, 2024); Alfred-Wegener-Institut
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